Neonaziaufmarsch in Stockholm, Versuch eines Vergleichs mit Deutschland

Auszug aus einem Artikel von Sören Kohlhuber, erschienen am 18.11.2016.

Der Titel ist irritierend, denn ein Vergleich ist kaum möglich und dennoch interessant. Kaum möglich ist er, weil ich gewisse Wissenslücken habe. Wie das Polizei- und Versammlungsgesetz aufgebaut ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch die Entwicklungen der letzten Jahre dahingehend vermag ich nicht einzuschätzen. In Gesprächen wurde mir gesagt, die Gesetzgebung wäre, besonders durch parlamentarische Aktivitäten der rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“, liberalisiert worden. Ob Dinge legal sind, konnte ich nur durch Nachfragen bei schwedischen Kollegen in Erfahrung bringen und beziehe mich dabei auf ihre Aussagen.

Dennoch ist ein Vergleich mit Neonaziaufmärschen in Deutschland durchaus interessant. Die Schlüsse, die ich daraus ziehe sind subjektiv und daher auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Was mich in Stockholm erwartete?

Schwedische Neonazis demonstrieren gegen „Flüchtlingsinvasion“ © Fabian Schumann

Mir wurde ein Neonaziaufmarsch versprochen. Aufgerufen hatte die Plattform „Nordfront“. Diese gehört zur Kleinstpartei „Nordische Widerstandsbewegung“ (Nordiska motståndsrörelsen), welche ein Zusammenschluss von neonazistischen Gruppen der skandinavischen Länder ist. Redner sollten daher aus Schweden, Norwegen und Finnland anreisen. Die Partei wurde 1997 in Schweden von Mitgliedern des „Weißen Arischen Widerstandes“ gegründet.

Anlass des Aufmarsches sollte eine vermeintliche „Invasion“ von Geflüchteten darstellen. Ziel des Demonstrationszuges war es, nach einem Marsch durch die Innenstadt, zum Parlamentsgebäude zu gelangen. Laut meinen Kontakten aus Schweden erwartete man rund 300 Teilnehmer, da die „Nordfront“ nur selten aufmarschiert.

Gleichzeitig war klar, dass die antifaschistischen Strukturen dies nicht ohne Gegenreaktion lassen würden. Trotz der Auflösung der Gruppe „Revolutionära Fronten“ (eine der in Deutschland bekanntesten schwedischen linken Struktur), trat die Antifaschistische Bewegung in der Vergangenheit durchweg militant auf. Teilweise kam es zu Messerstechereien im Nachgang von rechten Aufzügen, was zu längeren Haftstrafen für Antifaschisten sorgte. Auch mit dem Einsatz von Pyrotechnik als Waffe wurde gerechnet.

Die Polizeikräfte kannte ich aus Youtube-Videos. Das bekannteste zeigte eine Pferdestaffel, die in Malmö 2014 eine antifaschistische Demonstration angriff, wobei zum Teil Demonstranten niedergeritten wurden. Landesweit verfügt die schwedische Polizei über 18.000 uniformierte Einsatzkräfte,darunter bis zu 1.500 Bereitschaftsbeamte. Die Bereitschaftspolizei heißt in Schweden übrigens „Kravallpolis“.

Der Nationalsozialistische Freiraum

Schwedische Neonazis schützen ihre Demonstration mit Schilden ©Sören Kohlhuber

Ähnlich wie in Deutschland ist auch in den skandinavischen Ländern seit einigen Jahren das Thema Flucht- und Migrationsbewegung Teil der politischen Tagesordnung. Rechtspopulistische und extrem rechte Parteien sehen sich in einem Hoch. Demonstrationen, Angriffe und Anschläge, auf Migranten und Antifaschisten folgten. Meine schwedischen Kontakte berichten von einem unerwarteten Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft.

Im vergangenem Jahr kam es so u.a. in Schweden zu wenn auch wenig erfolgreichen Demonstrationen von Rechten Gruppen, die sich am Vorbild „Pegida“ orientieren.

Daran knüpfte nun nach längerer vordergründig wenig sichtbarer Zeit die „Nordfront“ mit einer Demonstration zum Parlamentsgebäude an. In Richtung des Parlaments skandierten die Teilnehmenden immer wieder „Förrädare” (Volksverräter). Andere Demonstrationssprüche und Reden konnte ich nicht übersetzen. Laut den Signalworten, die ich verstand, und Brocken, die mir meine deutsche Begleitung übersetzte, ging es offenbar um Zionisten, Sozialisten und immer mal wurde skandiert, dass der ”Arische Widerstand” marschiere.

Der Demonstrationszug baute sich in Dreierreihen auf. Im vorderen Block Fahnen und Trommler der Nordfront. Keine Seitentransparente. Vor dem Fronttransparent fünf Personen mit Plexiglasschildern und der Werbung für den Internetauftritt der Nordfront. Vereinzelt liefen an der Seite Neonazis mit ”Polizeischildern”, aber auch mit kleinen Holzschildern, auf denen der Pfeil der nordischen Neonazis abgebildet war. Laut Nachfragen bei ortskundigen Journalisten ist das Tragen solcher passiver Bewaffnung bei Demonstrationen in Schweden legal. Als die Neonazis die ersten Kameras sahen, gingen die Tücher über die Nase. Auf meine Frage an die Fotokollegen, ob dies erlaubt sei, hieß es ”sometimes”. Die Vermummung ist faktisch so lange legal, bis ein Beamter vor Ort entscheidet, dass sie illegal ist. In welchem Kontext und wieso ein Beamter das Recht so ausüben kann, konnte ich nicht genauer herausfinden.

Vereinzelt trugen Neonazis verstärkte Handschuhe, für die dieselbe Regelung gilt wie für Vermummungen. Da Winter war, konnte man anhand der Kleidung kaum Besonderheiten entdecken. Einzig ein Schal mit schwedischer Fahne und dem Totenkopf der SS darauf war noch bemerkenswert. Dazu erklärten Kollegen, dass nur das Hakenkreuz verboten sei, alle anderen Symbole des Nationalsozialismus seien legal. Süffisant stellten Journalisten aus Schweden und Dänemark fest, dass in Deutschland offenbar alles verboten sei, zum Beispiel auch Stahlkappenschuhe, die offenbar ebenfalls in Schweden legal bei Demonstrationen getragen werden dürfen.

Zur Akustik dienten den Neonazis zwei Personen mit Megaphonen. Angestimmt wurden lediglich zwei Schlachtrufe, die von den rund 500-600 Teilnehmern lauthals mitgegröhlt wurden. Erst zur Abschlusskundgebung wurde ein LKW als Lautsprecherwagen genutzt. Von einem gezimmerten Nordfront-Podium aus wurden verschiedene Reden gehalten, die unterschiedlich aufgenommen wurden, und, dank nordischer Liedermacher, ein wenig musiziert.

Ordner der Neonazis waren mit grünen Armbinden gekennzeichnet, Anti-Antifa-Aktivisten trugen Mützen mit dem Pfeil-Symbol oder gelbe Westen mit dem Aufdruck ”Nordfront-Media”. Eine weitere Besonderheit waren ein Neonazi mit dem Aufdruck „Dialog Patriot“ auf einer gelben Warnweste. Seine Aufgabe ist in Konfliktsituationen die Kommunikation mit den eingesetzten Beamten zu übernehmen.

Kurz nachdem die Neonazis den Abschlusskundgebungsort erreichten, versuchten sie einen Angriffsversuch der Antifaschisten abzuwehren. Dabei formierten sie sich als Block, vorne die Neonazis mit Schilden, dahinter teilweise vermummt der motivierte Mob. In ihm liefen ebenfalls vereinzelt Zivilbeamte mit, ausgestattet mit Teleskopschlagstöcken. Das direkte Aufeinandertreffen verhinderten rund zehn Beamte u.a. durch den Einsatz von Schlagstöcken gegen Schilde. Unter ”Ha, Ha, Ha, Antifa”-Rufen zogen sich die Neonazis langsam zurück.

Ich wollte durch ihren Block, um zum antifaschistischen Angriff zu gelangen. Bei einer deutschen Demonstration wäre ich in einer ausweglosen Situation gewesen. Hier gab nur einen Ellenbogencheck, sonst nichts. Hinter dem Wall aus Schilden, tippte ich einem Neonazi auf die Schulter und fragte, ob ich raus kann. Er zog sein Schild zur Seite und ich ging. Dies macht den Umgang der schwedischen Neonazis mit der Presse deutlich.

Mehrere Anti-Antifa-Aktivsten liefen ebenfalls die Straße hoch bis zu den Antifaschisten. Mindestens einer kam mit blutender Stirn und Nase aus dem Rauch wieder zu seinen Kameraden zurück. Ansonsten wurden die Aktivisten der Neonazis nicht durch Polizeikräfte gestoppt. Auch die Antifaschisten reagierten an anderen Stellen auffallend gelassen auf Neonazis mit Camcorder.

Beim Abtransport der Neonazis zu einer U-Bahn-Station zeigte sich deren Einsatz mit Schilden. Auf einer Brücke trafen die Neonazis auf Antifaschisten. Letztere standen am Rand und pöbelten. Die Neonazis versuchten diese anzugreifen, woraufhin die Polizei einen kleinen Gang dicht machte. Mit ihren Schilden versuchten die Neonazis die Beamten abzudrängen, diese wehrten sich mit Schubsen, Schlagstock, Teleskopschlagstock und zwei bis drei Hunden. Anschließend liefen die Neonazis weiter zum Bahnhof, ein Teil konnte ausbrechen und jagte Antifaschisten, was die Polizei nicht interessierte, wobei die Neonazis mit den Schilden immer neben den Beamten liefen, um ein weiteres Eingreifen der Polizei gegen die neonazistischen Demonstranten zu verhindern. Selbst beim Einsteigen in die Bahn gingen die Schildträger als letztes durch die Tür und sicherten so die Bahnfahrer.

Hier könnt ihr den Artikel weiterlesen.

Wenn ihr mehr zu diesem Thema hören möchtet, besucht den Vortrag von Sören Kohlhuber am 16.11.2017 ab 18.30 Uhr in der Buchhandlung Klüger, Neundorfer Straße 6 in 08523 Plauen.