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Veranstaltungsreihe gestartet

Werbung für die Veranstaltungsreihe "Gegensteuern - den rechten Ideologien die Stirn bieten" in der Lokalpresse "Vogtland Anzeiger".

Unsere Vortragsreihe unter dem Motto „Gegensteuern – den rechten Ideologien die Stirn bieten!“ begann am 8. November und stieß auf großes Interesse. Die Auftaktveranstaltung im Projekt Schuldenberg besuchten circa 30 Gäste. Mit hoher Aufmerksamkeit folgten die Zuhörer_innen dem Vortrag „Der III. Weg im Vogtland“. Zur zweiten Veranstaltung mit dem Inhalt „500 Jahre Revolte – Reformation und Bauernkrieg“, waren ebenfalls über 30 Interessierte zugegen und beteiligten sich anschließend rege an Diskussionen und Gesprächen.
Der große Zuspruch bei den bisherigen Vorträgen zeigt, dass sich mehr und mehr Menschen mit der Problematik um den III. Weg auseinandersetzen. Ganz besonders erfreute uns die Tatsache, dass es ein sehr breit gefächertes Publikum gab und wir viel positive Resonanz erhielten. Wir bedanken uns bei allen bisherigen Gästen, bei Demokratie leben!, dem Vogtlandkreis für die Unterstützung sowie den Medien, welche unsere Vortragsreihe beworben haben und Aufmerksamkeit schenkten.
Wir freuen uns darauf, euch zu den weiteren Veranstaltungen begrüßen zu dürfen.

Bald geht’s los

Morgen startet unsere Veranstaltungsreihe in Plauen. Der erste Vortrag ist im Projekt Schuldenberg (Thiergartener Straße 4, 08527 Plauen).

Radio EuroHerz findet unsere Aktion gut uns bewirbt unsere Reihe.                      Den kurzen Beitrag findet ihr hier.

Antisemitismus: Tief in der Mitte verankert

Dieser Artikel von Robin Dullinge erschien am 09.05.2017 auf akduell.de.

Armin Langer, Yasmine Souhil und Juliane Wetzel auf dem Podium. (Foto: rod)

Über zwei Stunden sprachen etwa 50 Teilnehmende am vergangenen Dienstag, 2. Mai, am Essener Campus über Antisemitismus im 21. Jahrhundert. Das Internationale Referat hatte dazu Dr. Juliane Wetzel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und Armin Langer, Publizist und Student der jüdischen Theologie zur Diskussion eingeladen. Ein Abend mit vielen Erkenntnissen.

Seit Dezember 2014 erfasste der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus die gesamtgesellschaftliche Entwicklung des Antisemitismus anhand diverser Statistiken zu beispielsweise Straftaten und Tendenzen zu antisemitischen Einstellungen in der Bevölkerung. Stellvertretend präsentierte Dr. Juliane Wetzel den Studierenden die Ergebnisse. Auch die Opferperspektive wurde in der diesjährigen Darstellung gewürdigt. Daran angelehnt betonte auch Yasmine Souhil, Referentin des Internationalen Referats, ihre Bedeutung und begründet damit die Einladung von Armin Langer.

Große Zustimmung für israelbezogenen Antisemitismus

Die Veranstaltung begann mit einem Input von Dr. Wetzel zu den Formen des Antisemitismus. Der Begriff beschreibe ausschließlich die „Feindschaft gegen Juden als Juden“. Aus dem Bericht geht hervor, dass der sekundäre Antisemitismus grassiert. Laut dem Expertenkreis gehe es dabei um „Holocaustleugnung, Täter-Opfer-Umkehr, […] vermeintlich jüdische Vorteile, also Schuldprojektion“, dieser umfasse aber auch die „Anwendung […] auf Israel im Vergleich mit dem Nationalsozialismus“.

So zog Wetzel auch die Überleitung zu einer weiteren Erscheinung, die gesamtgesellschaftlich verinnerlicht sei: den israelbezogenen Antisemitismus. So heißt es im Bericht: Laut der „FES Mitte-Studie 2014 vertraten 28 Prozent der Befragten die Auffassung, ‚bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat‘. Dieser Wert stieg in der FES-Mitte-Studie 2016 auf 40 Prozent an.“ Offen antisemitische Einstellungen seien derzeit rückläufig, dennoch würden Menschen in der „Mitte der Gesellschaft bis zu 20 Prozent antisemitischen Aussagen zustimmen.“

Ein Jude in Neukölln

Ein Blick auf antisemitische Straftaten gab wieder, dass diese in 90 Prozent der Fälle auf eine extrem rechte Ideologie zurückzuführen seien. Der Rest gehe auf radikal linke und auf „politisch motivierte Kriminalität (PMK) Ausländer“ zurück. Wetzel kritisierte den Begriff, als sie sagte: „Es geht nicht um Ausländer, sondern um Ideologien“. Außerdem sei in der Statistik besonders auffällig, dass bei Eskalationen im Nahost-Konflikt auch die antisemitischen Übergriffe anstiegen.

Mit einem Fazit schloss Wetzel ihre Ausführungen und gab das Mikro an Armin Langer weiter. Er gab zunächst einen Einblick in seine Biographie und Arbeit mit der 2013 gegründeten Initiative Salaam-Schalom-Initiative. Diese sei entstanden als „Reaktion auf die Debatte, ob Berlin-Neukölln eine Gefahrenzone für Juden ist“. Laut Langer ist dies nicht der Fall, er selbst wohne neben einer Moschee des Dachverbandes Ditib, einer Schwulenkneipe und einem israelischen Café. Er steht für seine Zusammenarbeit mit dem als AKP-nah geltendem Dachverband Ditib in der Kritik.

Rund 200 Mitglieder habe die Initiative mittlerweile. Man bekämpfe gleichermaßen Ressentiments gegen Jüd*innen, Muslim*as und andere Minderheiten. Angesprochen auf die Überschneidungen zwischen Antisemitismus und Antizionismus befand Langer, dass man differenzieren müsse. Eine Karikatur bei der der aktuelle israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Blutsauger von palästinensischen Kinder dargestellt werde sei „jedenfalls klar antisemitisch“, stellte er fest.

Bildung als Präventionsmaßnahme

Angesprochen auf Boykott-Kampagnen gegen Israel waren sich beide Referent*innen einig, dass diese „gerade in Deutschland […] einen hochproblematischen Hintergrund“ hätten. Armin Langer jedoch würde diese nicht „pauschal als antisemitisch bezeichnen“, trotz der zentralen Aufrufe in denen israelische Wissenschaftlicher*innen boykottiert werden sollten.Nachdem die beiden Gäste über antisemitische Ressentiments referiert hatten, folgte eine Diskussion, die sich um die Prävention vor Antisemitismus drehte. Insbesondere die Frage, ob Sozialarbeit mit den Besuchen von NS-Gedenkstätten eine sinnvolle Maßnahme sei, bewegte die Runde. Dabei stellte Juliane Wetzel eine kuriose Behauptung auf: Der Holocaust habe „nicht in Deutschland stattgefunden“, was sie nach einer scharfen Kritik der Teilnehmenden aber relativierte.

Insgesamt einigte man sich darauf, dass es einen Mangel in der Bildung gebe. Sowohl Lehrer*innen als auch Studierende würden nicht aufgeklärt, was auch im Bericht kritisiert wird. Dem schließt sich die Forderung an, dass es eine breitere Aufklärung und Prävention geben müsse, um dem Thema langfristig zu begegnen.

Wenn euch dieser Artikel gefallen hat, dann kommt am 14.11.2017 um 18.30 Uhr in das Art Collective Plauen (Friedensstraße 77), dort wird Robin Dullinge einen Vortrag über "Antisemitismus in der extremen Rechten" halten.

 

Neonaziaufmarsch in Stockholm, Versuch eines Vergleichs mit Deutschland

Auszug aus einem Artikel von Sören Kohlhuber, erschienen am 18.11.2016.

Der Titel ist irritierend, denn ein Vergleich ist kaum möglich und dennoch interessant. Kaum möglich ist er, weil ich gewisse Wissenslücken habe. Wie das Polizei- und Versammlungsgesetz aufgebaut ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch die Entwicklungen der letzten Jahre dahingehend vermag ich nicht einzuschätzen. In Gesprächen wurde mir gesagt, die Gesetzgebung wäre, besonders durch parlamentarische Aktivitäten der rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“, liberalisiert worden. Ob Dinge legal sind, konnte ich nur durch Nachfragen bei schwedischen Kollegen in Erfahrung bringen und beziehe mich dabei auf ihre Aussagen.

Dennoch ist ein Vergleich mit Neonaziaufmärschen in Deutschland durchaus interessant. Die Schlüsse, die ich daraus ziehe sind subjektiv und daher auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Was mich in Stockholm erwartete?

Schwedische Neonazis demonstrieren gegen „Flüchtlingsinvasion“ © Fabian Schumann

Mir wurde ein Neonaziaufmarsch versprochen. Aufgerufen hatte die Plattform „Nordfront“. Diese gehört zur Kleinstpartei „Nordische Widerstandsbewegung“ (Nordiska motståndsrörelsen), welche ein Zusammenschluss von neonazistischen Gruppen der skandinavischen Länder ist. Redner sollten daher aus Schweden, Norwegen und Finnland anreisen. Die Partei wurde 1997 in Schweden von Mitgliedern des „Weißen Arischen Widerstandes“ gegründet.

Anlass des Aufmarsches sollte eine vermeintliche „Invasion“ von Geflüchteten darstellen. Ziel des Demonstrationszuges war es, nach einem Marsch durch die Innenstadt, zum Parlamentsgebäude zu gelangen. Laut meinen Kontakten aus Schweden erwartete man rund 300 Teilnehmer, da die „Nordfront“ nur selten aufmarschiert.

Gleichzeitig war klar, dass die antifaschistischen Strukturen dies nicht ohne Gegenreaktion lassen würden. Trotz der Auflösung der Gruppe „Revolutionära Fronten“ (eine der in Deutschland bekanntesten schwedischen linken Struktur), trat die Antifaschistische Bewegung in der Vergangenheit durchweg militant auf. Teilweise kam es zu Messerstechereien im Nachgang von rechten Aufzügen, was zu längeren Haftstrafen für Antifaschisten sorgte. Auch mit dem Einsatz von Pyrotechnik als Waffe wurde gerechnet.

Die Polizeikräfte kannte ich aus Youtube-Videos. Das bekannteste zeigte eine Pferdestaffel, die in Malmö 2014 eine antifaschistische Demonstration angriff, wobei zum Teil Demonstranten niedergeritten wurden. Landesweit verfügt die schwedische Polizei über 18.000 uniformierte Einsatzkräfte,darunter bis zu 1.500 Bereitschaftsbeamte. Die Bereitschaftspolizei heißt in Schweden übrigens „Kravallpolis“.

Der Nationalsozialistische Freiraum

Schwedische Neonazis schützen ihre Demonstration mit Schilden ©Sören Kohlhuber

Ähnlich wie in Deutschland ist auch in den skandinavischen Ländern seit einigen Jahren das Thema Flucht- und Migrationsbewegung Teil der politischen Tagesordnung. Rechtspopulistische und extrem rechte Parteien sehen sich in einem Hoch. Demonstrationen, Angriffe und Anschläge, auf Migranten und Antifaschisten folgten. Meine schwedischen Kontakte berichten von einem unerwarteten Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft.

Im vergangenem Jahr kam es so u.a. in Schweden zu wenn auch wenig erfolgreichen Demonstrationen von Rechten Gruppen, die sich am Vorbild „Pegida“ orientieren.

Daran knüpfte nun nach längerer vordergründig wenig sichtbarer Zeit die „Nordfront“ mit einer Demonstration zum Parlamentsgebäude an. In Richtung des Parlaments skandierten die Teilnehmenden immer wieder „Förrädare” (Volksverräter). Andere Demonstrationssprüche und Reden konnte ich nicht übersetzen. Laut den Signalworten, die ich verstand, und Brocken, die mir meine deutsche Begleitung übersetzte, ging es offenbar um Zionisten, Sozialisten und immer mal wurde skandiert, dass der ”Arische Widerstand” marschiere.

Der Demonstrationszug baute sich in Dreierreihen auf. Im vorderen Block Fahnen und Trommler der Nordfront. Keine Seitentransparente. Vor dem Fronttransparent fünf Personen mit Plexiglasschildern und der Werbung für den Internetauftritt der Nordfront. Vereinzelt liefen an der Seite Neonazis mit ”Polizeischildern”, aber auch mit kleinen Holzschildern, auf denen der Pfeil der nordischen Neonazis abgebildet war. Laut Nachfragen bei ortskundigen Journalisten ist das Tragen solcher passiver Bewaffnung bei Demonstrationen in Schweden legal. Als die Neonazis die ersten Kameras sahen, gingen die Tücher über die Nase. Auf meine Frage an die Fotokollegen, ob dies erlaubt sei, hieß es ”sometimes”. Die Vermummung ist faktisch so lange legal, bis ein Beamter vor Ort entscheidet, dass sie illegal ist. In welchem Kontext und wieso ein Beamter das Recht so ausüben kann, konnte ich nicht genauer herausfinden.

Vereinzelt trugen Neonazis verstärkte Handschuhe, für die dieselbe Regelung gilt wie für Vermummungen. Da Winter war, konnte man anhand der Kleidung kaum Besonderheiten entdecken. Einzig ein Schal mit schwedischer Fahne und dem Totenkopf der SS darauf war noch bemerkenswert. Dazu erklärten Kollegen, dass nur das Hakenkreuz verboten sei, alle anderen Symbole des Nationalsozialismus seien legal. Süffisant stellten Journalisten aus Schweden und Dänemark fest, dass in Deutschland offenbar alles verboten sei, zum Beispiel auch Stahlkappenschuhe, die offenbar ebenfalls in Schweden legal bei Demonstrationen getragen werden dürfen.

Zur Akustik dienten den Neonazis zwei Personen mit Megaphonen. Angestimmt wurden lediglich zwei Schlachtrufe, die von den rund 500-600 Teilnehmern lauthals mitgegröhlt wurden. Erst zur Abschlusskundgebung wurde ein LKW als Lautsprecherwagen genutzt. Von einem gezimmerten Nordfront-Podium aus wurden verschiedene Reden gehalten, die unterschiedlich aufgenommen wurden, und, dank nordischer Liedermacher, ein wenig musiziert.

Ordner der Neonazis waren mit grünen Armbinden gekennzeichnet, Anti-Antifa-Aktivisten trugen Mützen mit dem Pfeil-Symbol oder gelbe Westen mit dem Aufdruck ”Nordfront-Media”. Eine weitere Besonderheit waren ein Neonazi mit dem Aufdruck „Dialog Patriot“ auf einer gelben Warnweste. Seine Aufgabe ist in Konfliktsituationen die Kommunikation mit den eingesetzten Beamten zu übernehmen.

Kurz nachdem die Neonazis den Abschlusskundgebungsort erreichten, versuchten sie einen Angriffsversuch der Antifaschisten abzuwehren. Dabei formierten sie sich als Block, vorne die Neonazis mit Schilden, dahinter teilweise vermummt der motivierte Mob. In ihm liefen ebenfalls vereinzelt Zivilbeamte mit, ausgestattet mit Teleskopschlagstöcken. Das direkte Aufeinandertreffen verhinderten rund zehn Beamte u.a. durch den Einsatz von Schlagstöcken gegen Schilde. Unter ”Ha, Ha, Ha, Antifa”-Rufen zogen sich die Neonazis langsam zurück.

Ich wollte durch ihren Block, um zum antifaschistischen Angriff zu gelangen. Bei einer deutschen Demonstration wäre ich in einer ausweglosen Situation gewesen. Hier gab nur einen Ellenbogencheck, sonst nichts. Hinter dem Wall aus Schilden, tippte ich einem Neonazi auf die Schulter und fragte, ob ich raus kann. Er zog sein Schild zur Seite und ich ging. Dies macht den Umgang der schwedischen Neonazis mit der Presse deutlich.

Mehrere Anti-Antifa-Aktivsten liefen ebenfalls die Straße hoch bis zu den Antifaschisten. Mindestens einer kam mit blutender Stirn und Nase aus dem Rauch wieder zu seinen Kameraden zurück. Ansonsten wurden die Aktivisten der Neonazis nicht durch Polizeikräfte gestoppt. Auch die Antifaschisten reagierten an anderen Stellen auffallend gelassen auf Neonazis mit Camcorder.

Beim Abtransport der Neonazis zu einer U-Bahn-Station zeigte sich deren Einsatz mit Schilden. Auf einer Brücke trafen die Neonazis auf Antifaschisten. Letztere standen am Rand und pöbelten. Die Neonazis versuchten diese anzugreifen, woraufhin die Polizei einen kleinen Gang dicht machte. Mit ihren Schilden versuchten die Neonazis die Beamten abzudrängen, diese wehrten sich mit Schubsen, Schlagstock, Teleskopschlagstock und zwei bis drei Hunden. Anschließend liefen die Neonazis weiter zum Bahnhof, ein Teil konnte ausbrechen und jagte Antifaschisten, was die Polizei nicht interessierte, wobei die Neonazis mit den Schilden immer neben den Beamten liefen, um ein weiteres Eingreifen der Polizei gegen die neonazistischen Demonstranten zu verhindern. Selbst beim Einsteigen in die Bahn gingen die Schildträger als letztes durch die Tür und sicherten so die Bahnfahrer.

Hier könnt ihr den Artikel weiterlesen.

Wenn ihr mehr zu diesem Thema hören möchtet, besucht den Vortrag von Sören Kohlhuber am 16.11.2017 ab 18.30 Uhr in der Buchhandlung Klüger, Neundorfer Straße 6 in 08523 Plauen.

Am Anfang war der Widerstand

500 Jahre Revolte

Reformation und Bauernkrieg

2017 ist das ›Lutherjahr‹: Weit über Deutschland hinaus werden ›500 Jahre Martin Luther‹ breit gefeiert. Auch wenn dabei pflichtbewusst kritische Töne zu Luther nicht fehlen – sein Antisemitismus, seine Hetze gegen die aufständischen Bauern – werden andere religionskritisch-reformatorische und früh-demokratisch revolutionäre Kräfte nicht nur nicht gewürdigt, sie finden erst gar keine Erwähnung. Luther, so scheint es, war eine isolierte Ausnahmeerscheinung. Dabei war er nur Teil eines gesellschaftlichen Umbruchs in der Renaissance. Begleitet von wissenschaftlichen Entdeckungen geriet das alte Weltbild ins Wanken. Es gab verschiedene Bewegungen gegen die etablierte christliche Kirche, wie die Täufer und Thomas Müntzer, dem radikalen Gegenspieler von Luther. Getragen wurden die neuen Gedanken von der feudalistisch unterdrückten Bevölkerung. Es kam zu Aufständen, die sich im großen deutschen Bauernkrieg 1523 – 25 zu einer allgemeinen Erhebung steigerten.

 

Vortrag von Bernd Langer am Freitag den 10.11.2017 ab 18.30 Uhr im Quartier 30 (Bahnhofstraße 30, 08523 Plauen)

DIE NAZIS UND DER 1. MAI

1. Mai von rechts

Die Besetzung des internationalen Kampftages der Arbeiterklasse durch die Faschisten und andere Rechte hat eine lange Tradition – ein Überblick.

Ein Text von Bernd Langer
Junge Welt, erschienen am Freitag den 28. April 2017

 

»Arbeiterkampftag«, »Kapitalismus zerschlagen« ist auf Transparenten zu lesen und dröhnt es aus den Lautsprechern. Hochgezogene Transparente, Vermummte dahinter schwenken Pyros, die Polizei ist dicht am schwarzen Block. Rangeleien, die Staatsmacht schlägt zu, erste Verhaftungen. Eine Situation, wie sie bei 1.-Mai-Demos nicht selten zu finden ist. Der erste Blick kann jedoch trügen.
Vom äußeren Erscheinungsbild sind die Demonstrationen der Neonazis kaum noch von »revolutionären« linken Manifestationen zu unterscheiden. Die Rechten würden einfach alles von den Linken klauen, meinen letztere. Als historisches Beispiel gilt die rote Fahne, die Adolf Hitler ganz bewusst übernahm, um sein Hakenkreuz darauf zu plazieren. Ähnlich war es mit dem Parteinamen. Die SDAP, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, war die erste linke, marxistische Partei in Deutschland, gegründet von Wilhelm Liebknecht und August Bebel. Hitler setzte einfach ein »N« davor, mit der Absicht, den Namen und Teile der Tradition zu kassieren. Denn Form und Inhalt können nur bedingt voneinander getrennt werden. Das Thema ist komplexer. Symboliken setzen Bezüge.
Bereits zu Zeiten der aufkommenden Arbeiterbewegung musste man genau hinschauen. Klasse an sich ist eben nicht Klasse für sich und nicht jeder Arbeiter automatisch ein Revolutionär. Immer schon standen diverse politische Strategien in Konkurrenz zueinander. Doch gab die Orientierung am Klassenkampf eine Richtung und einigende Symbole und Traditionen – vor allem den 1. Mai als internationaler Kampftag der Arbeiterinnen und Arbeiter. Das änderte sich mit dem Ersten Weltkrieg. Spätestens seit 1918 waren SPD und Linksradikale zwei deutlich getrennte Lager. Hier liegt einer der Gründe dafür, dass es die in den Anfangszeiten der Weimarer Republik starke linke Bewegung nicht schaffte, den 1. Mai als Feiertag durchzusetzen.
Unterlassung mit Folgen
Auch später, als die Sozialdemokraten Regierungsverantwortung trugen und zudem in ihrem Rücken den mächtigen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) hatten, wurde der Maifeiertag nicht eingeführt. Eine Unterlassung, deren Folgen freilich nicht abzusehen waren – genauso wie man das, was der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler folgen sollte, unterschätzte. Ein gemeinsamer antifaschistischer Kampf der linken und demokratischen Kräfte kam jedenfalls nicht zustande.
Lieber bekämpfte man sich weiter gegenseitig oder versuchte gar, sich den Gegebenheiten anzupassen. So erklärte der Gewerkschaftsbund im Februar 1933 seine Neutralität gegenüber den neuen faschistischen Machthabern. Besonders drastisch zeigte sich der gewerkschaftliche Unterwerfungskurs dann am 1. Mai 1933. Hitler deklarierte den symbolträchtigen Kampftag zum »Tag der nationalen Arbeit« um und machte ihn zum Feiertag. Eine alte Forderung der Arbeiterbewegung wurde ausgerechnet von den Nazis umgesetzt, und Hitler konnte sein Image als »nationaler Sozialist« aufpolieren. Statt Klassenkampf sollte nun die sogenannte Volksgemeinschaft gefeiert werden und »deutsch« an erster Stelle stehen. Das widersprach zwar komplett dem ursprünglichen Sinn dieses Tages, begründete aber die faschistische Tradition, mit der der 1. Mai seit dieser Zeit belastet ist.
Zu diesem Anlass gab es Kundgebungen und eine zentrale Massenveranstaltung auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. In der Reichshauptstadt strömten bis zu 1,5 Millionen Menschen zur Maifeier, deren Höhepunkt eine Rede Hitlers war. Ihren Legalitätskurs befolgend, riefen auch Gewerkschafter zu den Nazi-Maiveranstaltungen auf und marschierten hinter Hakenkreuzfahnen.
Doch alle Anbiederungsversuche nutzten nichts, am 2. Mai 1933 besetzten SA-Trupps die Gewerkschaftshäuser, -banken usw. Das Gewerkschaftsvermögen wurde beschlagnahmt, einige missliebige Funktionäre verhaftet. An die übrigen Angestellten erging die Aufforderung, unter den Kommissaren der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) loyal weiterzuarbeiten. Wer dies tat, und das waren die weitaus meisten, behielt Posten und Auskommen.
In dieser Zeit gab es noch relevante sogenannte nationalrevolutionäre Strömungen in der NS-Bewegung. Vor allem in proletarischen Teilen der SA fanden Parolen, die sich gegen »die Bonzen« richteten, Anhänger. Als nationalrevolutionäre Symbolfigur galten die beiden Brüder Gregor und Otto Strasser. Gregor Strasser war bis 1932 ein Konkurrent Hitlers innerhalb der NSDAP gewesen. Hinter dem Streit zwischen Hitler und Strasser, was unter Nationalsozialismus zu verstehen sei, standen auch persönliche Rivalitäten.
Ohne Zweifel hatte der nationalrevolutionäre Flügel in der NSDAP klare Bezüge zur Arbeiterklasse. Dies erklärt die Ähnlichkeit bzw. Übernahme von Parolen, Emblemen und Rhetorik. Zum 1. Mai 1934 gaben die Nazis sogar eine Mai-Plakette mit Hakenkreuzadler, Hammer und Sichel heraus.
Aber mit solcher Art von Symbolik und Fraktionen wie dem sogenannten Strasser-Flügel in den eigenen Reihen sollte es ein schnelles Ende haben. Hitler ließ die gesamte SA-Führung und andere Parteirenegaten Ende Juli 1934 verhaften und von der SS massakrieren. Insgesamt kostete der sogenannte Röhm-Putsch 83 Personen das Leben. Unter ihnen auch Gregor Strasser und der SA-Chef Ernst Röhm.
Aus diesen Morden resultierte der Mythos, dass die Träger des echten, wahren Nationalsozialismus vom Hitlerismus vernichtet worden wären. Das ist offensichtlich unzutreffend. Es gibt keinen guten oder schlechten Nationalsozialismus. Einzelne Strömungen erklären sich aus taktischen Nuancen oder gehen auf bestimmte Führungspersönlichkeiten zurück. Rechtsradikalismus basiert immer auf völkischer Ideologie und verfolgt die Idee der Volksgemeinschaft. Der Kern ist Rassismus. Dies zeigt sich vor allem, wenn man sich ansieht, welche Rolle die historischen Geschehnisse für das Hier und Heute haben.

Die Neonazis

In 1970er Jahren trat eine neue Generation von Neonazis auf die politische Bühne. Sie versuchten, die NPD rechts zu überholen und die NSDAP wiedererstehen zu lassen. Wesentliche Impulse dazu kamen aus Hamburg, von einer Gruppe um Michael Kühnen. Ziel war es, eine bundesweite, »nationalsozialistische« Partei zu gründen. Kühnen beschwor den »revolutionären Geist der SA unter Ernst Röhm«, marschierte in SA-ähnlichen Uniformen auf und verwendete Embleme nach historischem Vorbild. 1983 gelang es, verschiedene Gruppen zur Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) zu vereinen, die noch im selben Jahr verboten wurde. Daraufhin unterwanderten die ANS/NA-Mitglieder die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) und machten sie zur führenden Neonazipartei in der Bundesrepublik. Ihr Verbot erfolgte 1995.
Als Reaktion entstanden die Kameradschaften bzw. die sogenannten Freien Kräfte, die sich lediglich regional vernetzen. Durch weitere Verbote von lokalen Gruppen ständig geschwächt, konnten die Neonazis keinen bundesweiten Zusammenschluss mehr erreichen. Ihr politischer Ort wurde die rechtsradikale Subkultur. Man definiert sich heute als Bewegung. Dennoch bleibt der Traum von der »nationalsozialistischen« Partei bestehen.
Eine Zeitlang wurde die NPD ein Orientierungspunkt in dieser Hinsicht. Interne Machtkämpfe und der Legalitätskurs der vom Verbot bedrohten Partei führten jedoch dazu, dass die Kameradschaftsszene ihr wieder den Rücken kehrte. Heute, wo der rechtskonservative Rand der Bevölkerung eher die »Alternative für Deutschland« wählt, ringt die Partei um ihre Bedeutung. In Mecklenburg-Vorpommern verlor sie 2017 ihre letzten Landtagssitze und rechnet für ihre 1.-Mai-Demo dieses Jahr in Stralsund mit lediglich 250 Teilnehmern. Die »Freien Kräfte« aus Mecklenburg-Vorpommern mobilisieren jedenfalls zur 1. Mai-Demo von »Die Rechte« nach Halle/Saale.
Die 2012 gegründete Partei »Die Rechte«, spielt mit ihrem Namen auf Die Linke an und schreibt sich wie diese offiziell in Großbuchstaben. Außerdem hat sie demonstrativ das rote Wimpeldreieck über dem »I« übernommen. Es weist bei »Die Rechte« natürlich nach rechts. Vorsitzender ist Christian Worch, ein ehemaliger Gefolgsmann von Michael Kühnen und seit langem aktiver Neonazi. »Die Rechte« bemühte sich, als Reinkarnation der 2011 in der NPD aufgegangenen Deutschen Volksunion (DVU) aufzutreten, inhaltlich also zwischen NPD und AfD zu rangieren. Dem Führungsmann Worch und anderen Parteimitgliedern aus der sogenannten Borussenfront in Dortmund nahm das aber niemand so richtig ab. Zumindest verprellte die »Die Rechte« mit ihrem legalen Kurs Gruppen aus der Kameradschaftsszene, namentlich das »Antikapitalistische Kollektiv« (AKK). Während des letzten Jahres näherte man sich jedoch wieder an. Ein Grund dürfte darin liegen, dass »Die Rechte« allein nur ein geringes Mobilisierungspotential hat. Sie bringt maximal 150 Leute auf die Straße. Zuletzt im März 2017 in Leipzig. Zum 1. Mai in Halle/Saale soll das anders werden.
Zu der geplanten Demonstration ruft nämlich nicht nur die örtliche Kameradschaftsszene in Form der »Brigade Halle« auf, sondern auch das AKK. Es versteht sich als Vernetzung verschiedener rechtsradikaler Gruppen und trat erstmals mit Agitationen gegen die Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt a. M. im Frühjahr 2015 in Erscheinung. Es ist quasi die rechtsradikale Interpretation des schwarzen Blocks – und ist den Autonomen nicht nur äußerlich, sondern auch inhaltlich in einigen Forderungen ähnlich. Das AKK ist beispielsweise gegen die Freihandelsabkommen CETA und TTIP oder fordert Freiheit für alle Tierrechtsaktivisten.

Hammer und Schwert

Als Symbol verwendet das AKK einen roten Hammer gekreuzt mit einem roten Schwert vor einem auf der Spitze stehenden Quadrat. Es handelt sich um das Emblem des 1927 von den Strasser-Brüdern gegründeten Kampfverlags. Im Original sind die beiden Werkzeuge auf einem Zahnrad drapiert mit der Aufschrift »Volksherrschaft statt Diktatur des Kapitals – Widerstand jetzt!«. Hammer und Schwert sollen das Bündnis von Arbeitern und Soldaten darstellen und wurden zu Insignien des nationalrevolutionären Flügels innerhalb der NSDAP. Wiederbelebt wurde das Emblem in den 1990er Jahren als »Symbol der nationalen Revolution«. Leicht variiert gehört es momentan zu einem der am meisten verwendeten Zeichen des neonazistischen Spektrums.
Das AKK zeigt sich in seiner Agitation ästhetisch auf der Höhe der Zeit. Das Mobilisierungsvideo für Halle zeigt beispielsweise Anleihen bei Streetart-Elementen. Im Gegensatz dazu greift die Formsprache von »Die Rechte« auf nostalgisch-nationalsozialistische Elemente zurück. In der Propaganda zum »Tag der deutschen Arbeit« in Halle/Saale blicken zwei Männer unerbittlich den Betrachtenden an. Der vordere trägt eine »Thälmann-Mütze« auf dem Kopf und einen Vorschlaghammer auf der Schulter. Der hintere ist mit einem Schmiss auf der Wange als burschenschaftlicher Akademiker markiert. Dasselbe Motiv, manchmal auch nur mit dem Hammerträger, fand sich auch schon bei der NPD.
Es handelt es sich um eine Eins-zu-eins-Übernahme des Plakates »Arbeiter der Stirn (und) der Faust – Wählt den Frontsoldaten Hitler!« von 1932 und stammt von dem NSDAP-Plakatgestalter Felix Albrecht, seit 1927 Parteimitglied, ab 1930 in der SS und ausstaffiert mit dem »Goldenen Parteiabzeichen«. Nicht ohne Grund steht auf dem Plakat von 2017 »Tradition verpflichtet!«.

„Der III. Weg“

Bei weitem nicht alle Neonazis werden am 1. Mai in Halle sein, denn im rund 100 Kilometer entfernten Gera will gleichzeitig »Der III. Weg« aufmarschieren. Die Gruppe wurde im September 2013 von einigen ehemaligen NDP-Funktionären und Mitgliedern des in Bayern 2014 verbotenen »Freien Netzes Süd« gegründet. Nachdem mehrere Parteimitglieder samt Familien nach Plauen gezogen waren, hat die Partei dorthin ihren Schwerpunkt verlegt. Gute Kontakte ins Vogtland bestanden seit längerem. Weshalb auch viele ehemalige Angehörige der 2012 aufgelösten »Revolutionäre Nationale Jugend«, einer regionalen Neonazigruppe, heute dem »III. Weg« angehören.
»Der III. Weg« will keine Massenorganisation sein, sondern versteht sich als elitäre Kaderschmiede. Inhaltlich wird ein nationalrevolutionärer dritter Weg abseits von Kapitalismus und Kommunismus gefordert. Ein »deutscher Sozialismus« soll entstehen. Im wesentlichen knüpfen diese Aussagen an die Programmatik des Strasser-Flügels in der NSDAP an. Als Emblem verwendet »Der III. Weg« denn auch oft Hammer und Schwert in einem Zahnradkranz.
In den letzten Jahren war zu verfolgen, dass »Der III. Weg« nach Demonstrationen in den betreffenden Kommunen sogenannte Stützpunkte, also Ortsgruppen, etablierte. So war das nach der 1.-Mai-Demo 2014 in Plauen bzw. 2015 in Saalfeld. Bei seinem öffentlichen Auftreten achtet »Der III. Weg« auf eine propagandistische Choreographie. Oft gehen in der ersten Reihe Trommler, dann kommt das Frontransparent, dahinter Parteifahnen, dann der Rest der Demo in Reih und Glied, zum 1. Mai in einheitlichen roten T-Shirts, zu anderen Anlässen im dunkelgrünen Parteilook. Auch bei Redebeiträgen legt man Wert darauf, sich mit möglichst einheitlicher Kleidung, Parteifahnen und Symbolen als radikale Kaderpartei darzustellen. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit sich dieses Konzept durchsetzt oder ob »Der III. Weg« am Ende ein Fall für den Sektenbeauftragten wird.
Besonders groß sollte die 1.-Mai-Demonstration des »III. Wegs« 2016 in Plauen ausfallen. Es gab eine gute Voraussetzung dafür: Das AKK lag mit »Die Rechte« im Clinch, mobilisierte also nicht wie »Die Rechte« nach Erfurt, sondern nach Plauen. Tatsächlich kamen dann 800 Neonazis zusammen. Es gab Konfrontationen mit Antifas und der Polizei, die bundesweit in den Medien waren. Das wiederum passte dem »III. Weg« nicht, dem sehr an seinem legalen Status gelegen ist. Seitdem haben »III. Weg« und das AKK nichts mehr miteinander zu tun.
Auf keinen Fall will »Der III. Weg« in den Medien als Krawalltruppe dastehen. Seine Politik ist zwar elitär, zielt aber dennoch auf Breitenwirkung ab. Im Januar 2017 eröffnete die Organisation ihr bundesweit erstes Parteibüro im Plauener Stadtteil Haselbrunn. Vermietet wird das Gebäude von einem Schweizer Immobilienfonds. Das »Bürgerbüro« soll als Informationszentrum dienen. Auf den Schaufensterscheiben ist groß zu lesen »National, sozialistisch, revolutionär«. Hier will »Der III. Weg«« um Akzeptanz in der Bevölkerung werben. So sollen mittels einer wöchentlich stattfindenden Volksküche bedürftige Deutsche mit einem kostenlosen Essen geködert werden. Ebenso werden unter der Überschrift »Deutsche Winterhilfe« Altkleider verteilt.
Dabei lassen es die Rechtsradikalen aber nicht bewenden. Sie organisieren sogenannte »Nationale Streifen«: Vier bis fünf Parteimitglieder schleichen im T-Shirt oder Hemd mit Parteiaufdruck durch die Stadt, um sich dabei von hinten fotografieren zu lassen. Diese Fotos veröffentlichen sie dann in ihren eigenen Postillen, um sich als Hüter von »Recht und Ordnung« aufzuspielen. Solche Provokationen wurden auch schon gekontert. Im Februar 2017 traf es das Auto von Tony Gentsch, einem einschlägig vorbestraften Rechtsradikalen, der bis 2013 eine 26monatige Haftstrafe wegen Körperverletzung und Beleidigung verbüßte. Der aus Bayern stammende Gentsch ist einer der führenden Kader des »III. Wegs« in Plauen. Sein Fahrzeug wurde mittels Buttersäure nicht unerheblich lädiert, ebenso erwischte es Auto und Wohnung seines Parteifreundes Thomas Heyer. In der darauf folgenden Nacht zersplitterte die Terrassentür der Wohnung des »III. Weg«-Aktivisten Manuel Maier in Göppingen. Auch hier kam Buttersäure zum Einsatz.
Die Strategie des »III. Wegs« ist auf kontinuierliche Arbeit vor Ort angelegt. Dabei agieren die Rechtsradikalen politisch durchaus nicht ungeschickt. Sie werden wohl für den Stadtrat kandidieren und beabsichtigen, sich langsam auszubreiten. Zu dieser Strategie gehören auch ihre 1.-Mai-Demonstrationen, die auf die Herausbildung neuer »Stützpunkte« zielen. Auf Dauer könnte daraus ein Problem erwachsen.

Subkulturelle Berührungspunkte

Der braune Schatten, der dem 1. Mai anhaftet, spielt in der allgemeinen Wahrnehmung keine große Rolle. Aus dieser Perspektive ist der 1. Mai der »Tag der Arbeit« und somit ein Gewerkschaftsfest. Die »revolutionäre« Mai-Randale von Linksradikalen erscheint in diesem Zusammenhang ebenso unerwünscht wie rechtsradikale Aufzüge, von denen man sich ebenfalls abgrenzt. Beides wird als unliebsame Subkultur behandelt. Damit wären wir bei einem unpräzisen Sammelbegriff, der an die eingangs erwähnte Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung erinnert. Denn es existieren verschiedene Phänomene, die als Subkultur bezeichnet werden. Was die Subkulturen in der Bundesrepublik verbindet, ist, dass sie unter vergleichbaren Bedingungen existieren, mit denselben Gesetzen und derselben Gesellschaft konfrontiert sind und ihre Protagonisten im wesentlichen auch derselben Generation angehören. Von daher ergeben sich Berührungspunkte und Übergänge, ähnliche äußere Formen und bisweilen auch Parolen.
Zuweilen kommt es zur Vermischung oder Übernahme von Symbolen, Liedern, Aktionsformen usw. Dies ging in der Zeit vor 1933 viel weiter als heute, was aber weitgehend unbekannt ist. Nehmen wir noch einmal den 1. Mai. Die Nazis sahen sich als »sozialistische Arbeiterpartei«, konträr zum Marxismus. Sie interpretierten den 1. Mai für sich und besetzen ihn. Vom Anspruch her wird damit allerdings alles auf den Kopf gestellt. Denn für die Nazis gilt die »Betriebsgemeinschaft«, als Volksgemeinschaft im kleinen, als Ausgangspunkt. NS-Ideologen gehen von einen »Volkskörper« aus in dem jede und jeder seine bzw. ihre Aufgabe zu erfüllen hat. So werden mit biologischen und rassistischen Ansichten gesellschaftliche Machtverhältnisse erklärt und ein System definiert, in dem die Menschen nicht um ihre Rechte kämpfen und sich emanzipieren können, sondern sich dem Gegebenen unterordnen müssen. Das ist mit »deutscher Sozialismus« gemeint.
Darauf berufen sich die Neonazis. Daran wollen sie mit ihren 1.-Mai-Demonstrationen anknüpfen. Letztlich schwebt ihnen als Fernziel immer noch das »Vierte Reich« vor. Das einigende ideologische Element der Rechten bleibt das Völkische. Was sonst treibt Pegida an, steckt hinter den »Identitären« und verbindet die AfD mit diesem Spektrum?
Deshalb sind die Neonazi-Aufmärsche am 1. Mai nicht einfach nur Zusammenrottungen von nostalgischen Spinnern, sondern müssen ernst genommen werden. In ihren subkulturellen Codes sind die Rechtsradikalen teilweise sogar sehr modern und verkörpern mittlerweile ein ganz eigenes Rebellentum, das auf Jugendliche anziehend wirkt. Es gilt, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. Am 1. Mai ganz konkret – auf der Straße!